Aus dem Wohnzimmer tönt es „Fuck! Hab geloost. Das Level verkackt und wieder ein Leben verloren.“ Die Hausschuhe meines pubertären Sohnes fliegen quer durch den Raum. Ich gehe hin und frage: „Wow! Du bist ja richtig sauer!?“ „Ja, Mama! Und jetzt lass mich in Ruhe. Mein Tag ist im Arsch!“ murrt es und stapft mit seiner Spielkonsole in sein Zimmer, die Tür scheppert.
Ich nehme das Gefühl meines Sohnes mit und finde es auch verkackt, dass ich zurück muss in „meine Küche“ um das dritte Mal an diesem Tag die Geschirrspülmaschine auszuräumen - während das Abendessen auf dem Herd brodelt. Nebenbei beantworte ich noch eben schnell die Email, die mir seit Stunden im Hinterkopf sitzt und frage mich, wann die Corona-Routine wohl endet. Nebenbei höre ich meinen Mann in der dritten Videokonferenz im Homeoffice laut über das aktuelle Softwareproblem debattieren. Mir war nicht bewusst, wieviel vier Menschen in einem Haushalt essen, schmutzig machen und sich mit Alltäglichkeiten nerven können.
Gefühlt koche, putze und wasche ich „nur noch“ und fühle mich jeden Tag tiefer in den Sumpf aus Routinen gezogen und hoffe auf einen baldigen Schuleinstieg und damit wieder auf mehr Zeit für mich, die ich genau jetzt, so dringend herbeisehne.
Ich höre aus dem Jungszimmer in der Etage über mir, die blanke Euphorie: „ Yes, Yes, Yes… Alder! Geeeeeiiilll! Bin ins nächste Level gekommen.“
Im Moment ist meine Unzufriedenheit das auch…
Zu Beginn des Corona-Wahnsinns als alles im Außen tobte bin ich erfreut gewesen, einmal alles auf Null zu stellen. Keine Termine, alle Familienmitglieder zusammen an jedem Tag: ich freute mich auf und über die geschenkte Familienzeit. Und auch für meine Kinder freute ich mich, dass sie einmal aussteigen konnten aus den Ansprüchen von Schule. So etwas gab es ja noch nie und ich konnte mich sofort in meine Kindheit zurück versetzen und wie mich selbst ein Schulausfall gefreut hätte.
Doch jetzt, nach acht Wochen mit vier Menschen zu Hause – ohne Alleinzeit –
mit Homeschooling und Homeoffice hat sich mein dünnes Nervenkostüm potenziert. Und nicht nur meines: Meine Kinder begannen ihre Freunde zu vermissen, die Strukturen des Lernens in der Schule, der
Kontakt zu den Lehrern und natürlich überhaupt gefordert zu sein.
Zuerst dachte ich „Augen zu und durch“ dann merkte ich, da ist eine Grenze erreicht: Häufiger war ich gestresst, raunzte meine Kinder an, schimpfte mit meinem Mann, mir wurde alles zuviel. Ich schaffte meine selbstgesteckten Arbeitsziele nicht mehr und fand immer seltener die Ruhe, um mich zu konzentrieren. Die erste Reaktion war, mich dafür zu schelten. Bis ich merkte: ja, klar! Hier stimmt was nicht. Alles ist anders.
Mein Nervensystem kam gar nicht mehr zu Ruhe und ich war so leicht aufgepuscht von einer Tätigkeit in die Nächste gerutscht. Überall den Anspruch im Nacken es „richtig“ und „gut“ machen zu wollen – es zu schaffen. Ich versuchte die Schule so gut wie möglich zu ersetzen – doch wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich das nicht kann. Wie mein Sohnemann, der unbedingt ins nächste Level wollte…
Wie die Hausschuhe, die quer durch den Raum flogen - aus Frust und Enttäuschung- brauchte ich auch einen "kleinen Ausraster", einen Bewusstseins-shift, ein ganz klares Stopp, um nachzufühlen, wo ich jetzt gerade stehe und wofür ich mich bewusst entscheiden will. Die vielen Dinge im Außen: die Heimbeschulung – ohne dass ich Lehrerin bin und die Schulstrukturen zur Verfügung stellen kann, die so wichtig für meine Kinder sind; das Heimbüro und die Begleitung meiner Klienten, diverse Schreibarbeiten und natürlich noch am Leben teilnehmen, etwas Kontakt halten… und das Atmen nicht vergessen. ;o)
Veränderte Situation heißt doch auch veränderte Ansprüche – vor allem an mich selbst, oder?! Was also sollte anders sein? Und was davon habe ich selbst in der Hand? Wie kann ich dafür sorgen, dass es mir besser gehen darf?
Neue Devise: Ich entscheide mich jeden Tag flexibel neu: Was ist jetzt wichtig? Was kann und will ich leisten? Was ist mir wichtig zu erreichen? Diese Neu-Positionierung hat mir geholfen einen bewussten Umgang mit mir und der derzeitigen Situation zu pflegen.
Meine Alleinzeit nehme ich mir in meinem Büro – neben Schreibarbeiten. Und lebe damit, dass das zu Hause gerade nicht geht…
Der Haushalt bleibt nun auch mal liegen und wir essen im Moment nicht zu jeder Mahlzeit zu 100% gesund. Auch das geht eine zeitlang mit gutem Gewissen, wenn die Basis stimmt.
Die Aufgaben werden mehr verteilt – ich gebe ab und bitte gezielt um Hilfe. Und so komme ich auch ins next Level und sehe da ist mehr Qualität als vorher.
Also nächstes Leben – nämlich eins mit Corona und den dazugehörigen Änderungen - ein ganz anderes und den Sprung ins Neue geschafft - vorerst...