Hochsensibel Mama sein - Teil 3

 

 

Ich hatte das besondere Vergnügen, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und mich nach langer Zeit einmal wieder mit meiner Freundin Lena zu unterhalten. Aus einem intensiven Austausch, ist dann dieses Interview entstanden. Es hat Spaß gemacht und die Erkenntnisse daraus teilen wir heute mit euch. Dankeschön, Lena! <3

 

 

Heute im Gespräch mit Lena, einer hochsensiblen Mama von zwei Kindern.

 

 

Bianca: Liebe Lena, magst Du dich ein bisschen vorstellen und erzählen wie Du mit dem Thema Hochsensibilität in Kontakt gekommen bist?

 

Lena: „Ich bin Lena, 35 Jahre alt. Ich bin verheiratet und Mama von zwei Söhnen.

Einer ist 3 Jahre alt, der jüngere  ist 4,5 Monate jung.

 

Mit dem Thema Hochsensibilität bin ich in Kontakt gekommen…, das weiß ich noch ganz genau. Da saß ich mit meiner Freundin im Viertel in einem Café und da hat sie mir davon erzählt. Sie hat sich selbst als hochsensibel eingeordnet. Ich erinnere mich nicht mehr genau an das Gespräch, aber an das Gefühl. Mir ging durch den Kopf: “Ach ja genau. Das ist also mit mir los.“ Ich war total erleichtert und glücklich, mir wurde ganz warm ums Herz. Das weiß ich noch. Von da an habe ich mich mehr damit beschäftigt: Bücher gelesen und immer wieder mit meiner Freundin gesprochen und konnte immer mehr von der Hochsensibilität in mir entdecken. Das müsste so 4 bis 5 Jahre her sein, denn ich weiß noch, es war bevor meine Kinder da waren.

 

 

Ich war davor lange in Therapie. Seit Kindertagen war es nicht immer so einfach für mich in diesem Leben zurecht zu kommen. Ich habe eine ganze Menge an mir gearbeitet und fühlte mich auch auf dem richtigen Weg. Die Erkenntnis Hochsensibel zu sein war für mich der Moment, in dem ich richtig verstanden habe, ich bin nicht allein damit und es gibt noch andere mit dieser Art des Seins und fühlte mich zugehörig. Das war schon eine Befreiung.

 

Ich finde es ist das größte Geschenk, das man bekommen kann: Mehr über sich selbst zu verstehen und sich anzunehmen. Hochsensibilität ist für mich eine Stärke.“

 

 

 

Bianca: Würdest Du deine Kinder der Hochsensibilität zuordnen?

 

Lena: „Mein großer Sohn (3) ist definitiv hochsensibel. Bei meinem Baby bin ich mir unsicher, ich kann es noch nicht einschätzen.

 

Ich lese viel über Hochsensibilität bei Kindern, die typischen Beschreibungen die ich dort finde, die erkenne ich an meinem älteren Sohn nicht so direkt wieder.

 

Wenn ich ihn aber beobachte, dann fällt mir auf, dass er sehr aufmerksam (auch für Kleinigkeiten) ist und auch zum Beispiel an der kleinsten Blume am Wegesrand stehen bleibt, staunt und das sprachlich sehr gut ausdrücken kann. Er zeigt tiefe Freude an kleinen Dingen. Er hat ein hohes Erholungsbedürfnis, braucht Pausen und einen strukturierten Tagesablauf. Er fühlt sehr stark mit anderen mit.“

 

 

Bianca: Wo siehst Du besondere Herausforderungen in der Rolle als Mutter mit einer Hochsensibilität? Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung an Hochsensibilität in der Familie? Was ist vielleicht im Gegensatz zu neurotypischen Familien anders?

 

Lena: „Ich glaube, es ist ein großes Glück so empfindsam zu sein. Ich kann mich total auf meine Intuition verlassen, ich brauche keine tausend Elternratgeber sondern bekomme sehr intuitiv mit was meine Kinder gerade brauchen. Das macht das Familienleben einfacher. Durch das hohe Einfühlungsvermögen bemerke ich schnell, wenn irgendetwas nicht stimmt und jemand aus dem Gleichgewicht gekommen ist – auch wenn Dinge nicht ausgesprochen sind.

 

Ich kann dadurch für Harmonie sorgen, Probleme ansprechen, schauen dass wir zueinander und Lösungen finden. Mir fehlt der Vergleich, wie es ohne Hochsensibilität wäre. Aber in meiner Phantasie und Wahrnehmung fühle ich das sehr tief -  und vielleicht tiefer als andere. Ich kann natürlich schlecht vergleichen, wie das in anderen Familien so ist, ich kenne das ja nur so wie ich es erlebe. Wahrnehmung kann man glaube ich nicht vergleichen.

 

Die Herausforderung damit ist: das intensive Fühlen kostet natürlich auch viel Kraft – immer mitzufühlen – besonders mit meinen Kindern. Ich lebe eben nicht nur in meiner eigenen Gefühlswelt, sondern auch in der der anderen Familienmitglieder. Mit zwei kleinen Kindern zu Hause, kommen die eigenen Bedürfnisse oft zu kurz. Ich brauche Pausen und Alleinzeiten zum Verarbeiten und genau wie mein Sohn benötige ich viel Schlaf. Mit einem Säugling ist einem das leider nicht so gegeben. (lacht)

 

Mit meinem größeren Sohn habe ich eine Verbindung ohne Worte und fühle mich ihm sehr nah, weil wir gleich ticken. Oft erinnert er mich an meine eigene Kindheit: ich verstehe ihn, weil ich häufig denke „ah ja so war´s bei mir auch“. Ich war als Kind genauso schnell überreizt und konnte meine Gefühle schlecht ordnen und regulieren. Das erlebe ich bei meinem Sohn auch. Ich kann ihn aber unterstützen.

 

Wir brauchen mehr Zeit für alles: Gefühle wollen benannt, besprochen und eingeordnet werden. Der Tag in den Start darf nicht hektisch sein: einfach aufstehen und dann „zack, zack, zack, wir müssen jetzt los“, da geht bei uns nicht. Wir brauchen Zeit für den Übergang in den Tag, damit mein Sohn sich orientieren kann, wir besprechen jeden Schritt,  damit er sich sicher fühlen kann.

 

Ich finde, dass man bei einem hochsensiblen Kind anders präsent sein muss, um die vielen Eindrücke einzuordnen, damit sich das Kind nicht allein gelassen und überfordert fühlt. Es hört, sieht und fühlt eben mehr als andere Kinder.

 

Auf der anderen Seite habe ich ein total zugängliches, freundliches Kind, das sehr liebevoll ist. Das genieße ich schon sehr und macht mich auch als Mama sehr stolz. Ein dreijähriger Junge, der den Nachbarn nach der Spielverabredung sagt „Danke, war so ein schöner Tag mit euch!“, ist schon besonders. Ich finde es sehr schön, dass wir gemeinsam genießen und auch aus tiefstem Herzen lachen können, weil wir so miteinander schwingen. Das trägt unsere ganze Familie sehr  - auch durch schwere Zeiten.

 

In der Krippe und im Kindergarten sehe ich die Herausforderung, dass manchmal „mal eben schnell“ wie es der Alltag in der Kita oft fordert, nicht geht, weil mein Kind eben intensiver spürt. Da fehlt einfach manchmal das Verständnis und Wissen über Hochsensibilität bei den Erzieher*Innen. Dass mein Kind mehr und auch unausgesprochene Dinge fühlt und mehr Zeit braucht für die Verabschiedung sind Themen, die uns im Alltag begegnen. Durch die höhere Sinneswahrnehmung, braucht mein Kind mehr Pausen. Die gibt es in der Kita aber nicht immer. Das macht den Nachmittag manchmal total lang für mein Kind und es gibt Tränen der Überforderung. Es ist halt nicht überall so geborgen wie bei Mama zu Hause und daher hat mein Kind da eine zusätzliche Herausforderung sich draußen zurecht zu finden. Zum Glück hatten wir in der Krippe eine sehr sensible Erzieherin, das tat meinem Sohn gut. So konnte er den geschützten Raum Familie leichter verlassen und neugierig sein auf die Welt da draußen.

 

Ich bin gespannt wie es in der Schule wird mit mehr System und einem leistungsorientierten und defizitären Blick. Da mache ich mir schon mehr Gedanken, wie mein Kind dort zurechtkommen wird.“

 

 

 

Bianca: Was glaubst Du: Ist es von Vorteil für deine Kinder,  Du um deine eigene Hochsensibilität weißt? Wie hast Du selbst das als Kind/Jugendliche erlebt?

 

Lena: „Ich glaube es kann nur von Vorteil sein, dass wir beide so intensiv fühlen. Auch für meinen Mann und meinen zweiten Sohn ist es, egal ob der kleinere auch hochsensibel veranlagt ist, bestimmt von Vorteil ein Gegenüber zu haben, der sich hineinversetzen kann, Verständnis hat und die Gefühle ernst nimmt und auch darüber sprechen möchte.

 

Ich selbst habe in meiner Kindheit oft Sätze gehört wie „Du bist viel zu sensibel“ „Du machst aus einer Mücke einen Elefanten“ – in mir entstand das Gefühl nicht richtig zu sein und es gab niemanden der mit mir darüber sprechen konnte. Ich habe so viel gefühlt und hatte dafür überhaupt keine Worte, konnte es nicht einordnen. Ich habe mich eigentlich immer nur anders und schlecht gefühlt. Ich dachte, ich bin ganz ganz anders als alle anderen. Das hat mein Selbstbild sehr geprägt. Hätte ich das früher gewusst, dass es auch etwas Tolles ist so zu sein und dass es auch noch andere gibt, dann hätte ich mich definitiv besser gefühlt. Aber stattdessen fühlte ich mich immer ausgegrenzt und anders. Ich habe dann irgendwie gelernt, eine Fassade aufzubauen und habe mich so gezeigt, wie andere mich, meinem Empfinden nach, gerne gehabt hätten. Das war furchtbar anstrengend.

 

Dafür bin ich jetzt an einem Punkt, wo ich dankbar bin, um diese Wahrnehmung, das tiefe Fühlen und Denken. Ich sehe es mittlerweile als totale Stärke an und werde es meinen Kindern definitiv bei Zeiten erzählen. Es ist für mich wichtig diese Dinge zu wissen und zu benennen.

 

Natürlich ist jeder Mensch unterschiedlich und Hochsensibilität ist ein Begriff- jeder hat seine eigene Persönlichkeit, aber das individuelle „So-sein“ dürfen finde ich ganz wichtig. Meine Kinder sollen, egal wie sie sind, sich willkommen fühlen. Die ganze Gefühlsbandbreite leben dürfen: traurig, wütend, glücklich, verliebt – alles was es gibt, sollen sie leben dürfen. Ich möchte sie gerne zu Menschen erziehen, die mit einer Gefühlstiefe durch die Welt gehen. Überhaupt finde ich tut es der Welt gut, den Gefühlen mehr Platz einzuräumen. Ich wünsche mir, dass Gefühle eine andere Anerkennung bekommen. Empathie ist für mich ein wichtiger Wert.“

 

 

Bianca: Wirst Du deinem Kind irgendwann aktiv davon erzählen, dass es hochsensibel ist und wenn ja, welche Worte würdest Du wählen?

 

Lena: „Wenn ich ihm in den nächsten Jahren von der Hochsensibilität erzählen sollte, würde ich das an Beispielen fest machen. Ein Kinderbuch, das wir gelesen haben, hat ihn sehr beeindruckt. Das fände ich ein gutes Beispiel, da er da sehr emotional und mitfühlend reagiert hat. Die Geschichte hat ihn bewegt. „Du fühlst besonders mit und es beschäftigt dich sehr lange. Das können nicht alle Menschen“ wären da gute begleitende Worte. Ich würde ihm sagen, dass es manchmal so ist, dass manche Kinder und Erwachsene nicht verstehen, dass du besonders traurig oder besonders glücklich bist. Das haben manche Menschen nicht. Das ist bei dir so.

 

Ich würde wenn er älter ist, andere Worte wählen. Es ist schwer sich da rein zu versetzen, ich bin mit meinen Kindern immer sehr im Moment.

 

Auf jeden Fall möchte ich ihn da angemessen begleiten und möchte ihm vermitteln, wie wertvoll er mit seinem Persönlichkeitszug der Hochsensibilität ist. Ich möchte ihn begleiten, in einer Gesellschaft zu leben die mit all den vorhandenen Systemen, die auf funktionieren programmiert sind, bei sich zu bleiben. Ich möchte mein Kind ermutigen, nicht einem Ideal Typ hinterher zu eifern – sondern ihm die Gewissheit schenken, dass er in allen Facetten er selbst sein darf.

 

Der richtige Zeitpunkt dafür wird sich finden.“

 

 

 

 

Wenn Du nach dem Lesen des Artikels Fragen hast zur Erziehung und Beziehung (d)eines hochsensiblen Kindes - vereinbare gerne einen Beratungstermin mit mir.